Fotos: Torsten Biel


Naumburger Tageblatt

21.2.2022

Das Lachen der Nag-Nag

Das Märchenstück war nur zweite Wahl, doch die temporeiche Inszenierung des Theaters Naumburg bereitet nicht nur kleinen Gästen Spaß. Von Constanze Matthes

 

 

Naumburg - Kurz vor 15 Uhr zur besten Kaffee-Kuchen-Zeit zappeln die kleinen Gäste mit ihren Beinen, die größeren machen mit dem Handy Familienerinnerungsfotos. Theater ist nicht nur in einer Pandemie noch immer ein Ereignis. Wenige Minuten später, als die letzten Premierengäste in den ausverkauften Ratskellersaal gehuscht sind, kann die Geschichte beginnen. Licht aus, Spot an!

Eigentlich - eines der wohl am häufigsten verwendeten Wörter dieser Zeit - wollte das Theater Naumburg das Märchen „Schneewittchen“ mit Kindern auf die Bühne bringen. Doch die aktuellen Regeln durchkreuzten diese Pläne. Stattdessen erzählen - und das im wahrsten Sinne des Wortes - Selena Bakalios und Ireneusz Rosinski das Märchen „Die goldene Gans“, eine der bekanntesten und oft verfilmten Geschichten der Brüder Grimm. Beide Darsteller treten nicht nur als Erzähler auf, wobei Rosinski den erfahrenen Lehrmeister und seine Mitspielerin den Lehrling verkörpern. Sie schlüpfen von Beginn an in die verschiedenen menschlichen wie tierischen Rollen. Das hat schon etwas Klamaukhaftes, wenn Selena Bakalios in einer Szene die weinende Wirtstochter und die lachende Gans spielt, die bekanntlich vom jüngsten der drei Brüder, Dummling genannt, gefunden wird und die ihm schließlich das Glück bringt.

 

Doch zuvor bildet sich die „Klebegesellschaft“ aus Männern und Frauen der unterschiedlichsten sozialen Stände. So bleibt der Gutsbesitzer am Bauern haften, der Bürgermeister bekommt das kurzsichtige Schaf auf den Amts-„Pelz“ gepackt. Die unfreiwillige Polonaise erreicht schließlich den prachtvollen Hof des Königs, der dem Dummling erst drei Aufgaben stellt, ehe dieser die Prinzessin zur Frau erhält, die angesichts der zusammengewürfelten Schar das erste Mal wieder lachen konnte.

 

In nur wenigen Wochen Probezeit hat Dramaturg Claus Becker die Inszenierung auf die Beine gestellt, mit der er seine ganz persönliche Premiere als Regisseur feiert. Dabei agiert das Darsteller-Duo sicher und spielfreudig, stets gesten- und mimikreich. Nur die spontanen und erfrischenden Zwischenrufe der Kinder aus den Zuschauerreihen sorgen an einer Stelle für einen kurzzeitigen Überraschungsmoment.

 

Als Kulisse dient ein überdimensionales Buch in XXL, das, aufgeklappt, die verschiedenen Orte der Handlung vom Zuhause des Dümmlings über den Wald bis hin zum Schloss symbolisiert und von Dimitri Chariskou-Fickert geschaffen wurde. Überhaupt lebt die Inszenierung in puncto Ausstattung von Andeutungen. Mit einfachen Mitteln schafft Theater so eine ganze Welt, darin liegt auch dessen Zauber. Um sich zum grauen Männchen zu wandeln, greift Ireneusz Rosinski kurzerhand in die Kulisse zu einem Vorhang. Einen Schleier wirft sich Selena Bakalios über, um die Prinzessin zu mimen. Um eine Gans zu sein, reicht ein gelber Schnabel auf der Nase. Viel Raum nimmt die Musik ein, die in der sonst temporeichen Inszenierung für etwas Ruhe sorgt. Sechs Titel, darunter das bekannte Volkslied „Ein Männlein steht im Walde“ sowie ein Lied aus einer Defa-Verfilmung, präsentieren Selena Bakalios und Ireneusz Rosinski, der die Melodie zum Schlusssong selbst komponiert hat.

 

Am Ende gibt’s für das Team vor und hinter der Kulisse für ein Stück, das auch von der Kraft und Wirkung des Erzählens zu berichten weiß, lauten und langanhaltenden Applaus sowie Begeisterungsrufe, richtet auch Intendant Stefan Neugebauer einige Worte an die Besucher. Derweil rutscht im Publikum ein Junge im Superman-Kostüm auf allen Vieren übers Parkett des Ratskellersaals. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.